von Marko Jakob
Pix 666: Hallo, als allererstes die Frage, wie geht es dir – bist du fit und gesund?
Sad Sir: Ja, alles gut. Meine Beschwerden sind allenfalls im hypochondrischen Bereich anzusiedeln – treten auch immer nur auf, wenn ich etwas über COVID19, Symptome oder Risikogruppen lese.
Pix 666: Im Januar hattet ihr einen genialen Auftritt in Stuttgart, und dann war eh live erstmal nichts mehr geplant bei euch – bisher also, was das angeht, ziemlich Glück gehabt. Nun rücken aber die Konzerte in England und Russland immer näher. Denkst du beides wird ausfallen und wie traurig wäre man dann, wenn gerade die Konzerte in diesen Ländern ausfallen?
Sad Sir: Stand jetzt, werden die Konzerte neu angesetzt – fallen also nicht aus. Das allein hat ja schon einen positiven Dreh. Auch sonst: auf wen will man denn wütend sein? Du setzt Konzerte an und willst die spielen, ganz egal ob das Jena, Hamburg, Stuttgart oder London ist. Was zurzeit tatsächlich wichtiger ist: Nicht anstecken oder anstecken lassen.
Pix 666: Habt ihr als Band eine Streaming Session geplant oder ist das nicht euer Ding?
Sad Sir: Gefühlt ist das Internet doch voll mit Livevideos. Ich schaue mir selbst gerne Studiosessions von Bands an, die live im Studio spielen – das ist super. Die Idee, dass wir uns jetzt aber alle andauernd um 20 Uhr am Rechner treffen, erscheint mir wie eine etwas unglückliche Simulation der Wirklichkeit. Konzerte machen ja auch so viel Spaß, weil sich da Band und Publikum gegenseitig in etwas hineinsteigern. Mit einer Webkamera vor der Nase – ich weiß nicht. Und außerdem: spätestens nach dem dritten Lied geht einer kurz in die Küche ein Brot schmieren, jemand schneidet sich die Zehnägel oder bügelt … stelle mir gerade diese Bands vor, die es schon für einen Angriff auf ihre künstlerische Integrität halten, wenn jemand abends ein Handyfoto beim Konzert schießt.
Pix 666: Für die Fans aus musikalischer Sicht eine der wichtigsten Fragen: Arbeitet ihr an einem neuen Album?
Sad Sir: Ich weiß nicht, ob man das schon „an einer neuen Platte arbeiten“ nennen kann. An neuen Liedern arbeiten wir aber auf jeden Fall. Wird wahrscheinlich ein Konzeptalbum und irgendwas mit „Isolation“ im Titel heißen. Nee, Quatsch, natürlich nicht.
Pix 666: Aktuell gibt es ja fast Deutschlandweit eine Maskenpflicht. Erkläre uns doch mal, wie das geht – Riesenbart und Schutzmaske?
Sad Sir: Die Maske und der Bart – alles Übungssache. Sieht halt ein bisschen aus wie Erotikfotos untenrum aus den 70er-Jahren. Das viel größere Problem ist die Brille. Beschlägt sofort, wenn der Bügel verrutscht. Oder man zieht die Maske unter die Brille, dann rutscht die Brille ständig oder fällt auf den Boden. Für Fitness ist dann zumindest auch gesorgt.
Pix 666: Glaubst du, dass sich in Europa das Tragen von Schutzmasken durchsetzen wird, auch nach der Corona-Krise, oder werden die Leute froh sein, wenn sie diese ‚Dinger‘ wieder los sind?
Sad Sir: Musste wegen der Masken neulich lachen: Wer hätte je gedacht, dass die Cybergoths vom WGT mal Trendsetter werden? Sonderlich schick finde ich das aber nicht, zumindest nicht so schick, dass ich für immer darauf bestehen würde. Als höfliche Geste, wie das größtenteils im asiatischen Raum gehandhabt wird, finde ich das aber durchaus gut. Eher blöd mit den Masken: Man erkennt nicht mehr, ob man angelächelt wird … und ich lächle selbst gerne.
Pix 666: Ich glaube nicht, dass du ein ‚Hamsterkäufer‘ bist – aber mal ehrlich, auf welche Dinge möchtest du im Leben nicht verzichten und hättest am liebsten immer einen Vorrat davon zu Hause?
Sad Sir: Windeln, ganz klar. Mein Sohn ist achtzehn Monate alt. Trotzdem habe ich im März in ganz normalen Mengen Windeln gekauft, anstatt den Laden leerzuräumen. Diese Hamsterei hat mir leider zu viel über die Menschen preisgegeben. Ich, ich, ich. Scheiß drauf, wenn die anderen nix mehr bekommen, weil ich zu Hause 400 Packen Klopapier und Desinfektionstücher horte. Klar, Klopapier ist auch wichtig. Ich werde aber nie verstehen, ob diese Idioten im März Klopapier gegessen haben oder ob die sich Rollen komplett in den Hintern drücken und drehen – ich verstehe es nicht. Ich befürchte nur, dass man für große Arschlöcher eben auch eine entsprechende Menge von Klopapier braucht – anders kann ich mir das alles nicht erklären.
Pix 666: Gibt es bei dir aktuell große Unterschiede in der Freizeitgestaltung oder im Berufsleben gegenüber sonst?
Sad Sir: Beruflich kann ich mich nicht beklagen. Ich schreibe. Das geht an jedem Ort der Welt. Ich glaube, mir fehlt’s gerade hauptsächlich an der Theorie. Aber es fehlt derzeit jedem an der Theorie, all das tun zu können, was man auch sonst viel zu selten gemacht hat. Theoretisch würde ich jetzt gerne auf ein Konzert gehen, mich mit Freunden in der Kneipe treffen, meine Eltern, meine Oma besuchen und so weiter. Und das fühlt sich dann, wie erzwungener Verzicht an. Was natürlich vollkommener Quatsch ist. Ich verbringe ohnehin viel Zeit zu Hause mit meinem Sohn. Und wahrscheinlich würde ich ihm jetzt auch lieber auf einem Kinderspielplatz beim Quatsch machen mit anderen Kindern zuschauen. Vielleicht ist es das, was mir am Ehesten fehlt. Unbeschwerter Kinderquatsch. Über allem steht derzeit diese Vorsicht und Rücksichtnahme – es nervt, ja. Aber wie sieht denn bitte die Alternative dazu aus?
Pix 666: Denkst du, in diesem Jahr werden in Deutschland noch Veranstaltungen statt-finden, wie wir sie alle kennen und lieben, zumindest im kleinen Rahmen?
Sad Sir: Mein Lieblingssatz seit März 2020: „Ich bin kein Virologe“. Ich wünsche es mir natürlich. Ich denke aber, es wird auch so eine Weile dauern, bis alle wieder „einfach so“ auf ein Konzert, ins Theater oder sonst wo hin gehen, ohne sich i r g e n d w a s dabei zu denken. Ich glaube, dass Bands gerade jetzt auch die Verantwortung haben, auch an ihre Fans zu denken – ganz doof gesagt: Keine Band ist so wichtig, dass man sich oder anderen wegen ihr den Tod ins Haus holt.
Pix 666: Hast du sonst noch was auf dem Herzen, was du deinen Fans mit auf den Weg geben möchtest?
Sad Sir: Die Größte Aufgabe ist zurzeit, sich selbst und die eigenen Befindlichkeiten nicht über Gebühr wichtig zu nehmen. Da ist gerade leider auch sehr zu viel Zeit, um sich mit sich selbst zu beschäftigen – richtig schlimm wird’s aber, wenn man sich ausschließlich und nur mit sich selbst beschäftigt. Wenn ich bislang irgendwas von Corona „mitgenommen“ habe: Solidarität ist nicht abstrakt. Und ich glaube daran, dass wir uns irgendwann Geschichten über diese irre Zeit erzählen werden. Geschichte wird immer geschrieben, schon klar, aber diese hier wird ein paar mehr Seiten im Buch in Beschlag nehmen und jeder einzelne von uns kann dazu beitragen, wie diese Geschichte später erzählt wird. Happy end und so weiter. Achso, die Verschwörungsdeppen sollen sich bitte selbst ficken. DAS ist zur Zeit weit unerträglicher als alles andere. Nazis, Esoteriker, Spinner und Neoliberale – alle schön Hand in Hand. Widerlich.
Pix 666: Vielen Dank für die interessanten Einblicke in dein Leben – Bleib gesund!
Sad Sir: Ebenso!
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