QUICKIE DER WOCHE: Das Kurzinterview mit Jan-Erik Mendel (Gotikatur)

von Marko Jakob


Pix666: Hallo Jan-Erik. Danke, dass du dir die Zeit für ein kurzes Interview genommen hast. Ich hoffe, dir geht es gut und du und deine Familie seid gesund?

Jan-Erik: Hallo, ich habe zu danken 🙂 Hier ist alles wunderbar, ich hoffe euch geht es auch gut.


Pix666: Ja danke, hier ist auch alles Bestens. Du bist inzwischen ein ziemlich Bekannter Zeichner – wann hast du mit dem Zeichnen begonnen und wann und wie genau merkt man, dass das ganz gut ist, was man da zu Papier bringt?

Jan-Erik: Ich zeichne, seit ich denken kann. Irgendwie habe ich nie etwas anderes gemacht. Es ist immer eine stete Entwicklung. Darum kann ich eigentlich über meine eigenen Werke nur sagen, dass ich erst zufrieden bin, wenn ich Fortschritte im Illustrationsstil erkenne. Es gab Phasen in meinem Leben, da habe ich gefühlt Tausende von Zeichnungen angefertigt und war mit keiner davon einverstanden. Es fühlte sich an, auf der Stelle zu stehen.

So etwas ist sehr frustrierend, denn egal wieviel Lob oder Komplimente du bekommst, fühlst du dich dennoch unzufrieden mit dir selbst. Das ist oft in Zeiten, in denen es mir persönlich nicht gut geht und das wirkt sich auch auf meinen Strich aus. Dann lege ich leider wochenlang den Stift weg und kann nichts mehr auf Papier bringen, unabhängig der Tatsache, dass in mir der ewige Drang ist, etwas Neues zu erschaffen. Ein Comicprojekt beispielsweise. Das scheitert dann aber an der Motivation. Sowas hasse ich an mir.


Pix666: Hast du später auch eine Ausbildung oder ein Studium gemacht, welches sich weitestgehend mit dem Thema Zeichnen bzw. Kunst beschäftigt?

Jan-Erik: Ich habe zu Beginn meiner 20er eine Ausbildung als Grafik-Designer abgeschlossen und danach unter anderem im Werbefilmbereich und in der Modeindustrie als Grafiker für Kataloggestaltung gearbeitet. Illustriert habe ich aber auch hier, selbst wenn es nur firmeninterne Projekte waren, Grußkarten und ähnliches.



Pix666: …dann hast du irgendwann die Gotikatur erfunden. Wann war das genau, wie kam es dazu und kannst du dich noch an deine ersten Gotikaturen erinnern?

Jan-Erik: Das habe ich vor ein paar Tagen erst nachgeschaut, als ich auf meiner Facebook-Seite herumgescrollt habe. Ende August 2013 sind die ersten Gotikaturen entstanden und ich muss wirklich sagen, dass sich mein Stil in diesen acht Jahren sehr entwickelt hat. Die ersten beiden Zeichnungen waren Karikaturen von ASP und Robert Smith von The Cure. Meine Affinität für Asterix ist da noch gut zu erkennen.


Pix666: … du zeichnest aber natürlich auch Privatpersonen. Für Alle, die vielleicht etwas zu schüchtern sind, bei dir nachzufragen – wie kommt man an so eine Gotikatur ran? Wie kontaktiert man dich diesbezüglich am besten, so dass die Anfrage nicht irgendwo untergeht? Muss man unbedingt aus der ‚schwarzen Szene‘ sein, um von dir gezeichnet zu werden und wieviel kostet eine Gotikatur?

Jan-Erik: Seit ich die ersten Gotikaturen veröffentlicht habe, habe ich auch von Anfang an Aufträge bekommen. Das war anfangs sehr ungewohnt für mich, aber es hat mich sehr selbstbewusst gemacht und ich freue mich jedes Mal, wenn ich meine Kunden zufriedenstellen kann. Man erreicht mich am besten über Instagram oder Facebook, aber auch per Mail. Eine Gotikatur kostet pro Nase €35, aber es hängt natürlich auch immer vom Aufwand ab. Natürlich muss man kein Goth, Metaller oder Punk sein, um sich von mir zeichnen zu lassen, es hat sich ganz einfach nur so ergeben und das macht mir große Freude. Auf diesem Wege habe ich schon viele Freundschaften schließen können. Ich sehe Gotikatur als eine Art soziales Netzwerk.


Pix666: Wie lange brauchst du so in etwa für eine Gotikatur und wieviele hast du in den letzten 8 Jahren in etwa schon gezeichnet?

Jan-Erik: Ich lege immer einen Zeitraum von 2-3 Arbeitstagen an, um eine Gotikatur zu zeichnen. Natürlich brauche ich für das Zeichnen selbst nicht so lange, aber ich benötige eine Art Puffer, beispielsweise um wichtige Termine wahrnehmen zu können oder erst einmal Energie tanken zu können, ehe es ans Eingemachte geht. Ich weiß ehrlich gesagt leider nicht, wieviele Zeichnungen ich seit 2013 geschaffen habe. Es müssten aber so um die 2000 Stück sein. Die genaue Zahl kann ich dir aber nicht sagen, da viele davon keine Aufträge sind, sondern nur aus eigener Motivation entstanden sind.



Pix666: Gibt es für Gotikaturen inzwischen auch Anfragen und Aufträge von Bands? Hat es vielleicht eines deiner Werke sogar schon auf ein Plattencover oder ähnliches geschafft?

Jan-Erik: Auch Bands zählen zu meinen Kunden. Still Patient? beispielsweise und für Illuminates Album “Gezeichnet” habe ich 2015 auch das Cover und das gesamte Artwork kreiert. Dann habe ich auch indirekt Aufträge von Bands bekommen, Das Ich oder Letzte Instanz sind in meinem Wimmelbuch “Wir Kellerkinder – Everyday Is Halloween” vertreten.


Pix666: Was genau fasziniert sich so an der ‚schwarzen Szene‘? Bist du selbst in der schwarzen Szene unterwegs und ein Partygänger?

Jan-Erik: Hm, was fasziniert mich so sehr an der Schwarzen Szene? Ich will es so beschreiben: Ich habe hier meine Heimat gefunden. Seit ich als 16-Jähriger zum ersten Mal einen Grufti-Laden betreten habe, fühle ich mich hier zu Hause. Ich bin da also um Ostern mit einer Schulfreundin hingegangen und war total erschlagen von den Eindrücken.

Die schwarzen Kleider, der schwere Duft von Räucherstäbchen, der wie ein dunstig staubiger Nebel um die Vitrinen waberte, dazu die Schwere und gleichzeitig beruhigende Musik, die da lief (ich glaube, es war etwas von Type O Negative) – das hat in mir ein Gefühl ausgelöst: Das hier ist meins, danach habe ich mein Leben lang gesucht. Dabei wusste ich damals noch überhaupt nicht, was Gothic ist. Es war so mystisch und magisch, dunkel und spannend und löste in mir etwas aus, das kleine Kinder haben, wenn an Weihnachten die Kerzen am Baum entzündet werden.

Ja… Bin ich Partygänger? Ich muss sagen: Eher nein. Ich genieße es, dass es so viele Veranstaltungen gibt und manchmal ging ich auch dort hin, aber nur in Begleitung von Freunden. Meistens bin ich dann auch schnell wieder weg. Nicht, weil ich die Musik oder die Menschen nicht mag, im Gegenteil, aber mir wird es oft bald zu viel, wenn ich so viele Eindrücke auf einmal bekomme. Ich genieße lieber die Zeit mit ein oder zwei Personen um Gespräche zu führen, oder einfach gemeinsam kreativ zu sein.


Pix666: Du lebst ja inzwischen in Schweden, da wird man ja schon etwas neidisch. Mach doch den Lesern deine neue Heimat mal als Urlaubsland so richtig schmackhaft – was macht Schweden so besonders?

Jan-Erik: Ja, ich lebe seit 2017 im schönen Värmland in Schweden. Hier kann man wunderbar die Ruhe in den tiefen, noch sehr natürlichen Wäldern genießen, in denen man übrigens auch zelten darf. Wir haben hier unendlich viele Seen in denen man im Boot fahren oder schwimmen kann. Oft bin ich in Göteborg, die zweitgrößte Stadt des Landes und es gibt viel zu entdecken. Allerdings muss ich die Leserschaft warnen: Es gibt nicht sehr viele Angebote für Goths, aber das macht nichts, man muss eben selbst kreativ sein.



Pix666: An welchen Projekten arbeitest du sonst noch so?

Jan-Erik: Momentan mache ich ein Studium als UX-Designer und zeichne nebenbei Gotikaturen. Ich hoffe, dass ich eines Tages ausschließlich als Künstler arbeiten kann, aber man muss auch realistisch sein: Das Leben ist teuer. Darum engagiere ich mich auch als Mitglied der schwedischen Linkspartei dafür, dass Mieten nicht ins Unermessliche steigen und der Pflegebereich sozial bleibt und niemand ausgegrenzt wird. Letztes Jahr kam ja mein Wimmelbuch heraus, das ich gemeinsam mit Christian Schäfer veröffentlicht habe. Das hat sehr viel Spaß gemacht.


Pix666: Kann man das Buch irgendwo kaufen?

Jan-Erik: Das Buch ist im Shop der offiziellen Kellerkinder-Seite erhältlich.


Pix666: Nun ist deine Arbeit ja ziemlich krisensicher. Du arbeitest ja bestimmt von zu Hause aus und verschickst die Gotikaturen in digitaler Form zu den Kunden. Denkst du, dass andere Branchen, gerade im Bereich Musikveranstaltungen, Gastronomie und Kultur großen Schaden durch die Corona Krise nehmen werden und einige ihre Existenz aufgeben müssen?

Jan-Erik: Ja, ich persönlich hatte großes Glück, dass meine Arbeit in keinster Weise von der Pandemie betroffen war bzw. ist, denn sie ist ja noch immer nicht vorbei, auch wenn das hier in Schweden oft nicht so richtig wahrgenommen bzw. übersehen wird. Dazu muss ich sagen, dass wir hier eigentlich keine Maßnahmen hatten, abgesehen von Empfehlungen, die durch die Gemeinden individuell beschlossen wurden.

Wir hatten beispielsweise keinen Lockdown, da dies aufgrund der schwedischen Verfassung nur sehr schwer umsetzbar wäre und es bürokratisch sehr lange dauern würde, bis solch ein Gesetz in Kraft treten könnte. Dementsprechend ist Corona zwar ein Thema, aber es wird hier viel sachlicher und entspannter damit umgegangen, was die Kommunikation und Stimmung innerhalb der Gesellschaft angeht. Sowas wie Querdenker gibt es hier wohl auch, aber man bekommt davon nichts groß mit.

Ich mache mir allerdings auch Sorgen um die Existenz der Musiker und Menschen, die im Unterhaltungsbereich sowie in der Pflege arbeiten. Insbesondere in Deutschland wurden und werden während und natürlich auch vor der Pandemie Dinge beschlossen, die schlicht und einfach fatal waren und viele Menschen im wahrsten Sinne in Armut gebracht haben. Gerade die Pandemie hat gezeigt, dass eine richtige und gerechte Sozialpolitik mehr denn je gebraucht wird. Auch wenn ich mir leider wenig Hoffnung mache, dass die neu gewählte Regierung in Deutschland etwas verbessern wird. Aber die Hoffnung stirbt zuletzt und darum ist es wichtig, sich Gehör zu verschaffen, auch wenn man politisch eher passiv oder uninteressiert ist – denn das geht uns alle etwas an.


Pix666: In wie weit hat dich die Corona Krise privat getroffen? Welche Dinge hast du am Meisten vermisst – ich denke mal gerade Reisen war für alle Menschen in den letzten 20 Monaten nicht mehr uneingeschränkt möglich?

Jan-Erik: Während der Pandemie ist meine Ehe zerbrochen, aber das Leben geht weiter und wir machen das Beste daraus. Ich habe wunderbare Menschen, sowohl in Schweden als auch in Deutschland, auf die ich mich verlassen kann und die mir guttun. Eine wunderbare Freundin in Göteborg, die mir sehr ans Herz gewachsen ist und mein Sohn, der mich jedes Mal mit all seinen Fähigkeiten und Ideen aufs Neueste überrascht. Ich vermisse ganz klar meine Familie in Deutschland, die ich seit mehr als vier Jahren dort nicht besuchen konnte, aber wir haben Kontakt. Außerdem bin ich ja ein geduldiger Mensch. Eines Tages werde ich sie wieder besuchen können.


Pix666: Möchtest du den Lesern noch irgendwas mit auf den Weg geben?

Jan-Erik: Ich möchte den Lesern gern mit auf den Weg geben, sich selbst nicht verrückt zu machen. Ihr seid wunderbar. Lasst euch nicht von gesellschaftlich aufdiktierten Normen oder Schönheitsidealen beeinflussen. Denkt daran, was wirklich wichtig für euch ist, denn das Leben ist kurz und erst recht zu kurz, um euch selbst zu quälen.


Pix666: Ich danke dir für die interessanten Einblicke und ich hoffe, dass du im Anschluss an das Interview wieder viele neue Anfragen für Gotikaturen erhälst. Ich wünsche dir weiterhin viel Erfolg und Alles Gute für dich und deine Liebsten.

Jan-Erik: Ich danke dir und wünsche euch ebenfalls weiterhin viel Erfolg und Gesundheit und Freundschaft!


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https://shop.wirkellerkinder.de/

Foto und Gotikaturen © Jan-Erik Mendel